Studio Wundermaterial
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"Sie schwitzen" "Ich habe eine Idee!" "Frau Sutter wir haben Streit"

„Sie schwitzen“ | #schule #körper #rollenfragen #kunstunterricht #erinnerung

Montag morgen, deutlich vor acht, Unterricht!

in einer Klasse 6, unter dem Dach im Kunstraum. Ich habe kein Auto, war mit dem Fahrrad zur Schule gerast, vorher geduscht(unnötig vielleicht). Nun stehe ich – im Moment dieser Erinnerung – vor einer Klasse 6 in besagtem Kunstraum. Mein Körper, mein Fahrrad und ich haben es pünktlich geschafft. Das Fortbewegungsmittel wartet nun draußen an der frischen Luft im Hof. Bis zum Rückweg in den Feierabend werden noch mehrfach 90 Minuten vergehen.

Wenige Sekunden Reaktionszeit … ich hole tief Luft.

[ Schon früher, als ich noch selbst noch zur Schule ging, habe ich das selten und ungern gemacht. Ich bin wegen einem größeren Sitzplatzangebot lieber zum  im früheren Bus gerannt, als das Rad nehmen. Da war das Wissen, die Vorahnung, dass sich mein Körper aufheizt und ich dann in der Ruhe auf Hochtouren laufe, in der Bankreihe sitze und schwitze und alle können es sehen.]

“Schwitzen” ist laut ( wenn auch geräuschlos) weil sichtbar.

Schwitzen entzieht sich der eigenen Kontrolle. Es setzt einfach ein, ob wir das wollen oder nicht. Erst einmal im Gange ist es nicht zu stoppen, abzustellen, schwer zu verdecken. Ein Teil der eigenen Physis stülpt sich nach außen, in diesem Fall in eine institutionelle Rahmung – eine Unterrichtssituation hinein.

„Gesteuert durch das autonome Nervensystem sondern die bis zu vier Millionen sogenannten ekkrinen Schweißdrüsen, die überall im Körper in der Haut verteilt sind, dabei ein wässriges Sekret ab: den Schweiß. An der Hautoberfläche angekommen, bildet dieser einen dünnen Film und verdunstet. Dabei entsteht Kälte, die der Haut und den Blutgefäßen darin überschüssige Wärme entzieht. Der Körper kühlt ab und die Kerntemperatur steigt trotz Sommerhitze nicht an.“
( Warum wir schwitzen. Blogartikel.aok-Gesundheit )

Es kann auch mal auf den Boden tropfen.

Schweissperlen auf der Stirn werden von der Schwerkraft angesogen, laufen die Schläfe entlang, finden den Weg nach unten. Zum Beispiel auf eine Pilatesmatte.

Peinlich 🙁

[ Ich hoffe, dass es niemand bemerkt hat und bestelle noch am gleichen Tag ein Stirnband mit Feuchtigkeitsmanagement im Internet.] Schwitzen kann nur ein glänzender Schimmer/Film auf der Schläfe sein. Dieser bleibt häufig unbemerkt oder wenigstens unkommentiert.  Oder eben nicht. In dieser Situation nicht.

„Sie schwitzen“

Schüler*innenperson zur Lehrer*innen-Person, in diesem Fall ich. Ist/war das eine Grenzüberschreitung? Ganz schön persönlich? Ist das unangebracht? Traut sie sich da jemand etwas? Was sage ich jetzt oder sage ich nichts. Wie gesagt, wenige Sekunden Reaktionszeit. Ich hole tief Luft.

–  ist zunächst einmal eine Beobachtung.

.Auch im institutionellen Rahmen der Schule. Die Schüleri*n teilt diese Beobachtung mit mir und an mich adressiert.  Sie spricht mich direkt, sozusagen in der Öffentlichkeit der Klasse an ( Im Vergleich zu einem Satz wie „Frau Sutter schwitzt“, was auch noch eine ähnliche zugleich unterschiedliche Variante wäre.) Die Schüleri*nnen-Person formuliert im Präsens. Es handelt sich nicht um eine Frage. A stellt bezüglich B etwas fest und spricht diese Feststellung laut aus und B,  mich direkt an:

„Sie schwitzen“.

Ich entscheide mich ebenso direkt und unmittelbar zu antworten. Menschen schwitzen nun mal, vor Angst oder Aufregung oder in bestimmten Temperaturen oder im Kontext von Anstrengung. Ich schwitze, in diesem Moment.Stimmt.

„Ja, das stimmt. Ich bin mit dem Fahrrad da und war spät dran“

Die Schülerin scheint mit der Antwort „zufrieden“; es gibt keine Rückfrage, ein Nicken vielleicht, wir starten mit der gemeinsamen Kunstproduktion, im Unterricht.

„Ich habe eine Idee!“ | #kunst #workshop #kinderundjugendpsychiatrie #ideenentwicklung #conceptual

5. Irrationale Gedanken sollten streng und logisch verfolgt werden. 9. Konzeption und Idee sind verschieden. Konzeption beeinhaltet die allgemeine Richtung, während Ideen Bestandteile davon sind. In den Ideen verwirklicht sich die Konzeption. 10.  Ideen alleine können Kunstwerke sien. Sie sind Teil einer Entwicklung, die irgendwann einmal ihre Form finden mag […]. (Sol Lewitt: “Sentences on Conceptual Art, 1968)

Donnerstag nachmittag, eine Workshop- Situation im Rahmen des Kunstprojektes im Kontext einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in NRW. Das Kunstprojekt findet hier einmal im Monat als Teil des offenen Nachmittagsangebotes statt.

Die Zusammensetzung der Gruppe hat mit den Wechseln im stationären Ablauf der Klinik zu tun. Die Kinder und Jugendlichen sind in der Regeln zwischen vier und zwölf Wochen stationär vor Ort. Viele sind in den Wochen vor ihrem Klinikaufenthalt nicht mehr zur Schule gegangen.

 

Wie kommt ‘Farbe’ aufs Papier?

Das Thema eines Workshops ist in diesem Falle meine Idee für eine Gruppe, von der ich nicht weiß wie sie sich zusammensetzen wird. Die Aufgabe im Workshop war  im spezifischen Sinne das Finden  einer Antwort auf diese Frage: Wie kommt ‘Farbe’ aufs Papier?

 

Material-Inseln im Raum

Die Essenstafel im Gruppenraum  habe ich in ihre Teilmodule zerschoben und mit Folie abgedeckt. Plastikbecher mit Wasser stehen bereit.

Farb-Optionen

flüssig, in Konfetti gebannt, also in Form von Papierschnipseln, Unterlagen, farbige Klebebänder, Ölkreiden, Acrylfarben, schwarz, weiß, blaum rot, also die verschiedenen Grundfarben, Knete (wegen Leni Hoffmann), bunte Bänder und Schnüre (auch wegen Fred Sandback) sind im Angebot.

Usw. alles da

Klebstoff. Krebbband, Luftschlangen,  Klebeband (auch farbig) und Malgeräte ( Löffel, Wäscheklammern, Gabeln, Schaschlikspieße, Paketband, Zahnstocher, Strohhalme, Suppenkelle

Künstlerische Positionen zum Thema

Was interessiert ( Vorname, Nachname am Thema `Farbe` ? Wie gehen sie vor bzw. mit dem, was Farbe alles sein kann, um?Wir haben uns verschiedene künstlerische Positionen angeschaut. Welche Ideen haben Künstler*innen wie Katharina Grosse, Bernard Frize, Leni Hoffman, Fred Sandback, Blinky Palermo usw. Auch Jackson Pollock ist in der Liste mit dabei.

 

Idee, die 

1a) ein (in der Philosophie Platos) den Erscheinungen zugrunde liegender reiner Begriff der Dinge

1b) Vorstellung, Begriff von etwas auf einer hohen Stufe der Abstraktion.

2) Leitbild, das jemanden in seinem Denken, Handeln bestimmt

3) [schöpferischer] Gedanke, Vorstellung, guter Einfall

(www.duden.de | Idee, die)

Felix sagt:  “Ich habe eine Idee”

Auf die Idee folgt die Umsetzung. Die Vorstellung der Idee war bereits vorher im Kopf da. Die Visualisierung bevor sie ausgesprochen wird da. Die Realisation ist schließlich auch ein Übersetzungsprozess und Reality-Check.

Felix, das Kind mit diesem Namen, hat zwei Papiere aneinander geklebt und so den Bildraum erweitert, damit genug Platz für alle Buchstaben ist. Der Name wurde mit Klebestift auf das Papier geschrieben. Konfetti darüber geschüttet, abgeschüttelt:

Eine Idee mit Zaubereffekt. Durch das Konfetti werden die mit Klebestoff geschriebene Ideen darunter lesbar.

Die Idee geht in Serie

Felix erstellt ein Papier  für Lea . Seine Idee hat Anklang gefunden wird fortgesetzt. Es ist etwas, von dem ich als Workshop-Leiter*in Kenntnis nehme, Zeug*in bin im Medium Fotografie. 

„Frau Sutter wir haben Streit“ | #schule #kunstunterricht #kommunikation #mediation

An einem Nachmittag mitten in der Woche, irgendwann am Tag, seltener am Vormittag: Kunstunterricht, Klasse 6. Eine Doppelstunde wartet. Wir haben noch nicht begonnen. Vor mir steht ein sprechendes ‘ich’ ,  scheinbar in Stellvertretung oder im Auftrag eines ‘Wir’. Ich werde direkt adressiert: “Frau Sutter, wir haben Streit.”

Wer ist ‘wir’?

frage ich in meiner Erinnerung. Es fallen ein paar Vornamen. Nicht mehr da in meinem Kopf, nicht abrufbar retrospektiv, auch nicht wichtig, sehr wahrscheinlich. Auch ohne mit Nachhinein die konkreten Akteur*innen mit Namen benennen oder erinnern zu können. Dieser Satz ist mir bis heute sehr präsent.

Diesen ‘Streit’ haben alle zusammen.

Im Gegensatz zu folgenden Konstellationen: A mit B, C mit dem sprechenden ‘ich’, das sprechende ‘ich’ mit D oder ein E und ein F und das sprechende ‘ich’ würde darüber berichten.

Dieses  ‘wir’ für das ‘ich’ stellvertretend spricht und dem ‘ich’ angehört,  hat gemeinsam und wechselseitig etwas, was als ‘Streit’ bezeichnet- und nicht weiter erläutert oder spezifiziert wird.

 

Streit, der 

mittelhochdeutsch, althochdeutsch strīt, wohl eigentlich = Widerstreben, Aufruhr.

(duden.de | Streit, der | Etymologie)

 

‘Streit’ markiert zunächst eine Zäsur.

Nichts ist wie sonst oder ‘üblicherweise’. Was auch immer dies ist, sonst kurz vor dem Start des Kunstunterrichts. Ein Miteinander umgehen und  die Kommunikation sind unterbrochen. Mit Blick  auf die Etymologie könnte mensch von sich widerstrebenden Ansichten, Positionen oder Perspektiven sprechen. Dass dem so ist, ist im Hier und Jetzt unausweichlich Thema, steht im Raum.

Wer im Hier und Jetzt Streit hat, ist erst einmal damit beschäftigt.

Auch an Unterricht haben und Kunst machen scheint mir da erst einmal  nicht zu denken. Ich frage das ‘ich’. Möchtet ihr, dass ich dazu komme oder was braucht ihr.

Das ‘ich’ und ich verabreden ein Vorgehen, in das ich nicht involiert bin

Alle Streit habenden ‘ichs’ treffen sich vor der Tür des Kunstraums und haben 15 Minuten, ich meines es war  so viel – oder so wenig Zeit. Ein klar nach hinten abgegrenztes Zeitfenster mit der Möglichkeit auf Erweiterung. Sollte der Prozess länger dauern, würde eines der involvierten ‘ichs’ nach 15 Minuten in den Klassenraum zurückkommen und mit mir Rücksprache halten. Wichtig sei, sich zuzuhören, einander ausreden zu lassen und die verschiedenen Perspektiven zu hören. Außerdem könnte ich zu jedem späteren Zeitpunkt hinzukommen. Dann starte ich die Begrüßung mit +- zwanzig Schüler*innen-Personen zum Kunstunterricht.

Ich weiß bis heute nicht worum es in dem ‘Streit’ thematisch ging. Mir wurde –  absolut sicher –  damals lediglich das Ergebnis mitgeteilt wurde.

Das ‘wir’ hat den ‘Streit’, den es hatte,  nicht mehr.

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Spielwiese
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